In den 1930er Jahren lebten die Menschen in Ischgl größtenteils von dem, was die Natur hergab. Geld war knapp, und selbst diejenigen, die bei wohlhabenden Bauern oder Hoteliers Arbeit fanden, wurden oft in Naturalien bezahlt. Tiere wie Ziegen, Schweine und Hühner halfen, das tägliche Überleben zu sichern. Doch als der Zweite Weltkrieg die Region erreichte, verschärften sich die Lebensbedingungen drastisch. Arbeit war rar, und viele Männer kehrten nicht aus dem Krieg zurück. In dieser schwierigen Zeit erlangte der Schmuggel erneut große Bedeutung.
Bereits vor dem Krieg hatte der Schmuggel in Ischgl Tradition, als 1768 die von Kaiser Maximilian gewährten Zollfreiheiten entzogen wurden. Schon damals wurden Waren wie Butter und Felle heimlich nach Samnaun gebracht und im Gegenzug Güter wie Kaffee oder Mehl ins Paznaun geschmuggelt. Während des Krieges kam der Schmuggel fast zum Stillstand, doch nach Kriegsende nahmen ihn viele Ischgler wieder auf, um ihre Familien zu ernähren.
Besonders der Weg über den Alp-Trida-Sattel war beliebt. Die Schmuggler mussten dabei sechs bis sieben Zöllner umgehen, die häufig aus anderen Regionen stammten und weniger ortskundig waren. "Grasrutscher" nannten die Einheimischen die Zöllner abfällig, da diese oft schlecht auf den unwegsamen Pfaden unterwegs waren und nicht einmal Skifahren konnten. Die Schmuggler hingegen waren in ihrem Element: Sie trugen Rucksäcke mit 40 bis 50 Kilogramm Waren über die Berge und nutzten schlechtes Wetter, um unentdeckt zu bleiben.
Die Ware, die in Samnaun abgeholt wurde, war vielseitig: Kaffee, Reis, Tabak, Mehl und Saccharin, ein begehrter Süßstoff, den man als leichtere Alternative zu Zucker für den oft mit Malzkaffee vermischten "amerikanischen Kaffee" verwendete. Besonders wertvoll waren auch amerikanische Nylonstrümpfe, die es in Ischgl nicht zu kaufen gab.
Eine Tour von Ischgl nach Samnaun und zurück dauerte etwa zehn Stunden. Sechs bis sieben davon verbrachten die Schmuggler zu Fuß, oft ohne Verpflegung. In Samnaun wurden sie jedoch stets gut bewirtet, da die Händler auf zukünftige Geschäfte hofften. „Geschmuggelt haben fast alle im Dorf“, erinnert sich Emil Zangerl, ein ehemaliger Hüttenwirt, Bergführer und Schmuggler. Zu Zangerls Zeit war der Schmuggel nicht nur ein Mittel zum Überleben, sondern auch eine lukrative Einnahmequelle.
Der erste Skilift in Ischgl, der 1952 im Ortsteil Brand errichtet wurde, ist ein Zeugnis des Schmugglergeschäfts. Die Gewinne aus den geschmuggelten Waren trugen dazu bei, den Tourismus in der Region zu finanzieren, und leiteten eine neue Ära des Wohlstands ein. Mit dem Aufschwung des Fremdenverkehrs in den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren fanden die Paznauner zunehmend legale Arbeitsplätze, und das Schmuggeln verlor allmählich an Bedeutung.